Nachhaltigkeit und digitale Transformation als Diversitätstreiber in Aufsichtsräten
Prof. Dr. Peter Ruhwedel ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des diep-Instituts. In seinem Gastbeitrag spricht er darüber, wie Aufsichtsräte ihren Bedarf an Nachhaltigkeits- und Digitalexpertise verstärkt über weibliche Expertinnen abdecken und so die Rolle weiblicher Aufsichtsratsmitglieder stärken.
Lange Zeit haben Aufsichtsgremien mit einer Erhöhung des Frauenanteils gefremdelt. Vielmehr musste über die Einführung einer verpflichtenden Quote von 30% die notwendige Veränderung herbeigeführt werden. Doch mit dem inhaltlichen Erfordernis, die Expertise in den Gremien vor allem in den Bereichen der digitalen Transformation sowie der nachhaltigen Unternehmensführung (ESG) erheblich auszubauen, werden weibliche Expertinnen als wichtiges Reservoir erkannt. Dies zeigt die aktuelle Studie „Nachhaltigkeits- & Digitalisierungs-Reifegrad der DAX 40-Aufsichtsräte“ des diep-Instituts*: So steigt in der HV-Saison 2024 nicht nur der Anteil der weiblichen Expertinnen in den Gremien – Aufsichtsrätinnen sind auch überdurchschnittlich häufig in den Fachausschüssen der Gremien vertreten und übernehmen immer öfter deren Leitung. Hierdurch kommen Frauen vermehrt in den inneren Machtzirkel und besetzen dort Schlüsselpositionen. Das ist eine wichtige Neuerung: Ältere Studien zeigen übereinstimmend, dass weibliche Aufsichtsräte in der wichtigen Ausschussarbeit nur unterproportional mitwirken.
Weibliche Aufsichtsratsmitglieder sind noch immer unterrepräsentiert
Seit dem Jahr 2010 ist der Anteil weiblicher Aufsichtsratsmitglieder von 14,4% auf 40,3% nach der HV-Saison 2024 angestiegen. Doch immer noch sind Aufsichtsräte im DAX 40 mit Geschlechterparität oder einer Frauenmehrheit die Ausnahme. So kommen aktuell nur Vonovia (60,0%), Beiersdorf (58,3%), Zalando (55,6%) und Bayer (50,0%) auf einen Frauenanteil von mindestens 50% und gehen hier mit gutem Beispiel voran.
Zudem sind, trotz der positiven Veränderungen bei den diesjährigen Neubesetzungen, weibliche Aufsichtsratsmitglieder beim Ausschuss- sowie Aufsichtsratsvorsitz noch immer unterrepräsentiert. Eine mögliche Erklärung liegt dabei in der Regel in den recht langen Verweildauern einzelner Aufsichtsratsmitglieder in ihren Gremien. Denn nur wenn ein Aufsichtsrats- oder Ausschussvorsitz frei wird, kann eine weibliche Kandidatin nachrücken.
Der geringe Anteil von Frauen an Schlüsselpositionen im Aufsichtsrat hat zur Folge, dass sich die erwiesenen Vorteile gemischter Teams nur eingeschränkt nutzen lassen: Tiefergehende und kritische Diskussionen mit dem Vorstand zu wichtigen Unternehmensthemen finden zu Recht häufig in kleineren und agileren Ausschüssen statt; im Gesamtgremium ist die Themenvielfalt und Komplexität in der Regel nicht zu bewältigen. Die Berichte aus den Ausschüssen an das Plenum erfolgen regelmäßig zu Sitzungsbeginn lediglich mündlich. Ist dieses aus Effizienzgesichtspunkten durchaus sinnvoll, so führt es jedoch dazu, dass das Plenum unterschiedliche Blickwinkel und Erfahrungen nur begrenzt einbringen kann.
Studie zeigt: Gremien werden zunehmen jünger und diverser
Dass nun die Zeit für nachhaltige Veränderungen gekommen zu sein scheint, zeigt die oben genannte Studie. So liegt der Frauenanteil in Digitalausschüssen bei 40,2%; in ESG-Ausschüssen immerhin bei 35,8%. Dabei haben Frauen bei 35,3% der Unternehmen den Vorsitz im Digitalausschuss und bei 27,3% im ESG-Ausschuss inne. Dies ist vor allem mit Blick auf die weiteren im Aufsichtsrat verankerten Ausschüsse bemerkenswert – hier liegt der Durchschnittswert an weiblichen Ausschussvorsitzenden bei lediglich 15,3%. Digitale Transformation und Nachhaltigkeit treiben somit offensichtlich den Rollen- und Bedeutungswandel von Aufsichtsrätinnen.
Ein noch deutlicheres Bild ergibt sich mit Blick auf die diesjährigen Wahlen der Vertreterinnen und Vertreter der Anteilseigner. 43,9% der vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten verfügten nach Angabe der Unternehmen über eine umfassende Digitalisierungsexpertise, was die grundsätzliche Bedeutung dieses Themas unterstreicht. Hiervon sind sogar 55,6% weiblich. Über eine umfassende ESG-Expertise verfügten insgesamt 56,1% der Kandidatinnen und Kandidaten; von diesen sind ebenfalls mehr als die Hälfte (52,2%) weiblich. Mit den diesjährigen Neuwahlen geht zudem oftmals auch eine Verjüngung der Gremien sowie eine größere Internationalität einher.
Besonders bemerkenswert ist diese Entwicklung, da es sich sowohl bei der digitalen als auch der nachhaltigen Transformation von Geschäftsmodellen um strategische Kernthemen der Unternehmen handelt. Dies zeigt sich auch daran, dass 42,5% der Unternehmen einen Digitalausschuss und sogar 55% einen ESG-Ausschuss eingerichtet haben; überwiegend in Kombination mit Technologie, Innovations- oder Strategieaufgaben. Dass diese Ausschüsse nicht nur eine Feigenblattfunktion wahrnehmen, zeigt die durchschnittliche Anzahl von vier Sitzungen der Ausschüsse im Jahr 2023. Aufsichtsräte scheinen sich damit in immer mehr Unternehmen zu einem wichtigen strategischen Sparringspartner für zentrale Zukunftsthemen entwickelt zu haben.
In Deutschland besteht weiterhin Nachholbedarf
Der hohe und weiter zunehmende Anteil weiblicher Expertinnen gerade in diesen Themenfeldern weist darauf hin, dass der Ausbau von Fachexpertise und Diversität Hand in Hand gehen. Kritisch könnte man dagegen einwenden, dass Unternehmen vor dem Hintergrund der geringen Anzahl der Wechsel in den Aufsichtsräten bewusst zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das aus Investorensicht notwendige hohe Maß an Fachexpertise und (Gender-)Diversität in einem Wahlvorschlag zu verbinden, um damit gleichzeitig unerwünschten Diskussionen aus dem Wege zu gehen.
Was ist also zu tun, um mit Blick auf zukünftige Nachfolge- und Besetzungsprozesse Fachkompetenzen und Diversität weiter zu stärken?
- Aufsichtsräte sollten über eine systematische Nachfolgeplanung und strukturierte Besetzungsprozesse verfügen, die an klaren persönlichen und fachlichen Kompetenzkriterien orientiert sind.
- Auf dieser Basis sollten Besetzung und Leistung des Aufsichtsrats und seiner Mitglieder regelmäßig kritisch reflektiert und Änderungsnotwendigkeiten identifiziert werden.
- Neben der Umsetzung von Geschlechterparität sollte bei der Besetzung des Aufsichtsrates auch Diversität mit Blick auf Biographie, Persönlichkeitsprofil und Nationalität sichergestellt werden, um die Vorteile divers besetzter Gremien vollumfänglich zu nutzen.
Es ist unvermeidlich, den Weg zu einer umfassenderen Diversität fortzusetzen, um Aufsichtsräte zukunftsfähig aufzustellen. Und auch wenn die Studie den Fokus auf die Beteiligung weiblicher Aufsichtsrätinnen gelegt hat – die Berücksichtigung von Internationalisierung und verschiedener Kompetenz- sowie Persönlichkeitsprofile sollte darüber nicht vernachlässigt werden. Die Gremien und insbesondere deren Vorsitzende haben die Verantwortung, die Potenziale der Diversität nutzbar zu machen – für sich selbst und für „ihre“ Vorstände.
Auch hier besteht in Deutschland weiterhin Nachholbedarf. Es zeigt sich jedoch dabei, dass Unternehmen mit einem hohen Frauenanteil auch mehr weibliche Vorstandsmitglieder aufweisen. Über den Ausbau der Diversität in den Aufsichtsgremien können diese somit einen wichtigen Impuls in die Unternehmen setzen.
Zum Autor
Prof. Dr. Peter Ruhwedel ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des diep-Instituts. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen in der Beratung von Aufsichtsräten und Topmanagement-Teams. Nach Berufsausbildung zum Industriekaufmann, wirtschaftswissenschaftlichem Studium und Promotion ist er seit dem Jahr 2001 als Unternehmensberater tätig. Im Jahr 2011 wurde er zum Professor für Strategisches Management und Organisation an die FOM Hochschule berufen.
* Die vorliegenden Ergebnisse basieren auf einer Analyse der DAX 40-Aufsichtsräte (Erhebungszeitraum April – Juni 2024). Die Studie kann per Mail an info@diep-institut.de angefordert werden
Titelbild: Shutterstock / Monkey Business Pictures