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Immobilien, Due Diligence & Co: BGH-Urteil zu Aufklärungspflichten bei virtuellen Datenräumen – das ändert sich

Mit Urteil vom 15. September 2023 (V ZR 77/22) hat der Bundesgerichtshof die Pflichten des Verkäufers bei Transaktionen über virtuelle Datenräume neu definiert. Keine Sorge: Was für Laien erstmal schwer verständlich klingt, lassen wir uns vom Fachmann erklären.

Laut BGH gilt die Aufklärungspflicht eines Verkäufers, der einem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Informationen gewährt, nur dann als erfüllt, wenn er aufgrund der Umstände erwarten kann, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von den dort abgelegten Informationen erlangen kann.

Die Entscheidung bezieht sich in erster Linie auf Immobilientransaktionen, dürfte aber auch bei Due-Diligence-Prüfungen und M&A-Transaktionen im Allgemeinen von großer Bedeutung sein. Wir haben mit Dr. Daniel Grewe von der Wirtschaftskanzlei Seitz darüber gesprochen, was sich mit dem Urteil in Zukunft ändert.

Herr Dr.  Grewe, was genau bedeutet das BGH-Urteil?

Grewe: Bislang ist man in der Praxis immer davon ausgegangen, dass Informationen, die im Rahmen einer Transaktion in den Datenraum eingestellt werden, als offengelegt gelten. Das bedeutet in der Praxis grundsätzlich, dass auf Basis dieser offengelegten Umstände keinerlei Garantieansprüche geltend gemacht werden können. An diesem bisherigen Grundsatz wird jetzt gerüttelt, indem der BGH sagt: Ganz so einfach ist es nicht!

Der Verkäufer muss über gewisse Umstände aufklären. Das kann man zwar auch weiterhin im Datenraum machen, aber man kann nicht wesentliche Informationen einen Tag vor Vertragsabschluss dort einstellen und davon ausgehen, dass der Käufer automatisch davon Kenntnis genommen hat. Als Verkäufer muss ich also die Timeline im Auge haben und darf außerdem nur davon ausgehen, dass der Käufer Informationen einsieht, wenn er auch tatsächlich im Datenraum aktiv ist. Ich muss Informationen so ablegen, dass sie gefunden werden, und ich muss – und hier wird es nun ein wenig unscharf – berücksichtigen, wie „geschäftserfahren“ der Käufer ist. Das wurde auch nicht weiter konkretisiert und geht schon so ein bisschen in Richtung Verbraucherschutz.

Auf einen Blick: BGH-Urteil V ZR 77/22 – das ändert sich

Mit dem BGH-Urteil V ZR 77/22 vom 15. September 2023 werden Pflichten des Verkäufers deutlich verschärft:

👉 Bloßes Bereitstellen von Informationen reicht nicht aus
👉 Der Verkäufer muss sich ein Bild über Art und Umfang der Due Diligence machen
👉 Dabei sind Geschäftsgewandtheit des Käufers und seiner Berater zu berücksichtigen
👉 Verkäufer muss die Infrastruktur bereitstellen (professioneller Datenraum) und auf kritische Informationen hinweisen
👉 Entsprechende Klauseln sollten in den Letter of Intent und in den Kaufvertrag aufgenommen werden
👉 Die Enthaftung des Verkäufers bleibt abhängig von den Umständen des Einzelfalls

Und was ändert sich damit für Unternehmen, die Datenräume für Transaktionen nutzen?

Grewe: Diese Entscheidung hat Auswirkungen für Datenraumnutzer auf beiden Seiten. So spricht beispielsweise einiges dafür, das Cut Off Date bei Due-Diligence-Prüfungen nicht mehr kurzfristig vor der Vertragsunterzeichnung festzulegen, sondern mit ausreichend Vorlauf, um sicherzugehen, dass der Käufer Zeit und Gelegenheit hatte, die hinterlegten Daten einzusehen. Und auch die tatsächliche Nutzung des Datenraums dürfte in Zukunft eine Rolle spielen bei der Frage, ob Dokumente eingesehen bzw. zur Kenntnis genommen wurden. So lässt sich ja z.B. in den Statistiken einsehen, wie oft der Käufer mit wie vielen Beratern im Datenraum war.

Das mag natürlich auch Konsequenzen für die Vertragspraxis haben, etwa in dem man eine Verfahrensvereinbarung schließt, in der der Ablauf der Due Diligence geregelt wird. Damit hätte der Verkäufer ein starkes Argument auf seiner Seite

Haben Sie darüber hinaus Empfehlungen an Unternehmen, die sich hinsichtlich der Nutzung von Datenräumen absichern wollen?

Grewe: Womöglich kann es sich lohnen, entsprechende Regelungen in den Kaufvertrag mit aufzunehmen. Also etwa, dass ich als Verkäufer davon ausgehen darf, dass der Käufer die Informationen im Datenraum gesehen und sich eingehend damit befasst hat, dass er die Due Diligence durchgeführt hat, dass er von einem professionellen Team beraten wurde, und so weiter. Oder kurz gesagt: Alles, was die Argumentationsgrundlage verstärkt, dass wir hier einen Käufer haben, der sich mit den eingestellten Informationen auch ernsthaft beschäftigt hat.

Glauben Sie, dass sich durch das Urteil die Art und Weise, wie Datenräume genutzt werden, ändern wird?

Grewe: Ich glaube, dass Datenräume weiter in der Form betrieben werden können, wie es jetzt bereits der Fall ist. Die Nutzer der Datenräume müssen ab sofort aber eine Handvoll Spielregeln beachten. Es ist eben nicht ausreichend, dass etwas im Datenraum liegt, sondern es spielt auch eine Rolle, wann etwas eingestellt wurde, ob es mit ausreichend Vorlauf eingestellt wurde, ob es so im Datenraum abgelegt wurde, dass man es vernünftig finden konnte und ob der Verkäufer davon ausgehen konnte, dass der Käufer die abgelegten Informationen findet. Also ob es beispielsweise genügend Datenraum-Aktivitäten gab und ob der Käufer erfahren genug ist, um die Informationen zu finden und zu verstehen. Diese Fragen muss sich ein Verkäufer nun stellen, was er vorher in diesem Umfang und dieser Klarheit so nicht musste.

Für die Anbieter von Datenräumen dürfte sich nichts ändern. Ordnerstrukturen, die Möglichkeit, Dokumente strukturiert abzulegen und Aktivitätenprotokolle, die die Zugriffe im Datenraum aufzeichnen, gibt es ja bereits.

Ich denke allerdings, dass virtuelle Datenräume in Zukunft noch wichtiger werden, weil sich hier Strukturen und Vorgänge noch besser und einfacher nachvollziehen lassen als in einem klassischen analogen Datenraum oder im direkten Austausch. Das spricht meiner Meinung nach aus Verkäufersicht stark für einen virtuellen Datenraum – vielleicht mehr noch als bisher schon. An den Auswahlkriterien dürfte sich dadurch aber nichts ändern: Die Anforderungen an einen virtuellen Datenraum bleiben dieselben.

Haben Sie noch abschließende Gedanken, die Sie unseren Lesern hinsichtlich des Urteils mitgeben möchten?

Grewe: Das Besondere an diesem Urteil ist, dass es tatsächlich das Potenzial hat, die allgemeinen Geschäftspraktiken bei M&A-Transaktionen zu ändern und neue Spielregeln aufs Spielfeld zu bringen. Die Verkäufer sind nun sozusagen gezwungen, den Käufern bei der Due Diligence ein Stück weit entgegenzukommen. Die tatsächlichen Auswirkungen bleiben jedoch abzuwarten.

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Wer ist Daniel Grewe?

Dr. Daniel Grewe ist Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei Seitz. Als „Co-Head M&A“ liegen seine Schwerpunkte in der Beratung von ausländischen und deutschen Unternehmen sowie Finanzinvestoren, bei nationalen und grenzüberschreitenden Unternehmenstransaktionen. Als Head des Bereichs „Venture Capital“ berät Grewe zudem Venture Capital Fonds und Start-ups bei Wachstumsfinanzierungen sowie bei sämtlichen Fragestellungen „von der Gründung bis zum Exit“.

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